Die Römer tragen komische Sandalen, tauschen Wache schieben gegen Wäsche waschen und hausen in blauen Zelten - so kennt man das zumindest aus Asterix. Dass dies mit der historischen Realität nur begrenzt zu tun hat, wissen die meisten. Wer als interessierter Laie gerne genauer in die "echte" Geschichte eintauchen will, steht in der Regel vor der Wahl zwischen dem Studium von wenig spektakulären Büchern und dem Besuch eines Museums, in dem Ausstellungsstücke zwar gelegentlich toll inszeniert werden, aber letztendlich doch hinter Glas ein gutes Stück weit weg sind. Doch es gibt auch noch eine dritte Alternative!
"Lebendige Geschichte" heißt das Hobby, das in Deutschland allerdings nicht sehr häufig ist. Es geht darum, durch den Nachbau von antiken Gegenständen mehr über unsere Vorfahren zu erfahren und durch Experimente und eigene Erfahrung dort Wissen zu gewinnen, wo die Erfassbarkeit von Texten, Bildern und Museumsstücken endet. Durch Spüren und Fühlen wird damit Geschichte wirklich "begreifbar". Das macht man natürlich am besten nicht alleine, sondern sucht sich Freunde im Verein, so wie ich als Legionär der I. ROEMERCOHORTE OPLADEN e.V., einem der ältesten derartigen Vereine in Deutschland. Dort bin ich seit dem Ende meiner Schulzeit Mitglied und trage dort inzwischen auch im Vorstand ein wenig Verantwortung für unser Tun.
Bis die Besucher aber auf einer Museumsveranstaltung beim gemütlichen Nachmittagsbummel durch unser komplettes Römerlager allerhand Wissenswertes über das römische Militär und sein ziviles Umfeld erfahren, geht für die heutigen Römer eine Menge Arbeit voraus. Das fängt schon damit an, dass z.B. die Herstellung eines Kettenhemdes mindestens 200 Arbeitsstunden dauert. Ein Schienenpanzer ist etwas schneller fertig, aber auch hier müssen fast 50 Metallstreifen mit Hilfe von über 200 Nieten über Lederriemen, Haken, Schnallen und Scharniere miteinander verbunden werden.
Auch die Herstellung von Caligae ist eine große Herausforderung. Es handelt sich dabei nämlich gar nicht um Sandalen, die aus einzelnen Riemen zusammengesetzt sind, sondern um Stiefel, deren Obeleder aus einem Stück gefertigt ist und dann in schmale Streifen geschnitten wurde. Dadurch ist der Fuß gut belüftet und man bekommt weder Blasen noch Schweißfüße, selbst wenn man die Dinger tagelang an den Füßen hat! Das Oberleder wird dann auf die Sohle aufgenäht, die abschließend mit 80-100 Nägeln pro Fuß beschlagen wird. Gürtel und Schwert sind die Prunkstücke der Ausrüstung und so verwenden auch die heutigen Legionäre besonders viel Sorgfalt auf deren Herstellung. Aus einem Knochen einen schönen Schwertgriff zu schnitzen verlangt dann auch schonmal ein paar Stunden konzentrierte Arbeit; die Metallplatten, mit denen ein Soldatengürtel beschlagen ist, werden ebenfalls in stundenlanger Einzelarbeit gepresst, getrieben, graviert oder gegossen...
Der Helm und die Schwertklingen sind einige der wenigen Gegenstände, die die heutigen Hobby-Römer nicht unbedingt selber herstellen - Schmieden kann man nun mal nicht im Hobbykeller. Hier helfen befreundete Handwerker oder Händler aus der "Römer-Szene" weiter. Mit einer leinernen Untertunika und eine wollenen Obertunika ist der "moderne" Legionär einigermaßen komplett - fehlen noch Pilum (Speer) und Scutum (Schild). Die werden in der Regeln nicht von jedem selber hergestellt, sondern hier hält der Verein einen gewissen Bestand in Vorrat, um die Teilnehmer bei Veranstaltungen damit auszustatten. Auch die anderen Ausrüstungsgegenstände sind in begrenzter Zahl vorhanden, um Neumitglieder bis zur Komplettierung der eigenen Grundausrüstung ausstatten zu können.
Nach oben sind dem Basteltrieb keine Grenzen gesetzt und mit der nötigen Geduld sowie guten Vorlagen ist vom Essbesteck über Toilettenartikel bis zu technischem Gerät auch für den Hobbyrömer alles herstellbar. Erst diese Details sind es, die das Lagerleben auf einer Veranstaltung interessant, spannend und vielfältig machen.
Womit wir dann also bei den Veranstaltungen wären. Die beginnen für uns natürlich auch nicht erst Samstags um 10:00 Uhr, wenn das Publikum in unsere Lager strömt, sondern schon 24 Stunden vorher. Freitags morgens macht sich der erste Teil unserer Truppe (alle, die sich einen freien Freitag verschaffen konnten) von unserem "Hauptquartier" aus mit zwei LKW und einem Kleinbus auf den Weg zum Veranstaltungsort. Nach der Ankunft am Nachmittag steht der erste "Arbeitseinsatz" an: 11 Lederzelte (handgenäht!) für das Militärlager müssen ausgeladen und aufgebaut werden; Speere, Schilde, Schanzwerkzeug und Pallisadenpfähle müssen ebenfalls verteilt werden. Zum Aufbau der Lagerbegrenzung bleibt meist keine Zeit mehr, denn vor Einbruch der Dunkelheit muss noch das zivile Vorlager errichtet werden. Dass dabei insbesondere unsere römische Küche schnell fertig ist, liegt schon im reinen Selbstinteresse eines jeden Mitglieds, denn der große Hunger ist garantiert! Mit dem Duft von Lagerfeuer, Erbsensuppe und einem guten Tropfen Wein klingt der Tag dann langsam aus.
Doch halt - da war doch noch was. Unerbittlich grinsend fragt der Optio, ob ich denn nicht gerne die Nachtwache von 3-5 Uhr übernehmen wolle. Na gut, was soll's. Wenn nicht heute, dann wäre ich morgen dran. Und bei der Mittelwache kann man immerhin vorher und nachher schlafen...
Nachdem ich dann also ein wenig geschlafen habe und zwei Stunden zusammen mit einem Kameraden das Lager bewacht und das Feuer in Gang gehalten habe, krieche ich nochmal ins Zelt zurück. Doch viel Schlaf steht nicht mehr auf dem Programm. Unerbittlich wird man um 7 Uhr durch den Klang des Cornu und das "Prima Lux" aus der rauhen Kehle des Centurio aus dem Schlaf geholt. Erstmal auf's Dixi-Klo, waschen am Tankwagen und dann ab zum Frühstück. Irgendwie sehen alle noch ein wenig verschlafen aus, Einige haben aber immerhin schon ihre römische Kleidung an. Aber es steht noch eine Menge Arbeit bevor, bis das Publikum kommen kann. Aus Schanzpfählen wird die Lagerbegrenzung errichtet, Schilde werden vor den Zelten aufgestellt, Marschgepäcke zusammengestellt und Ausrüstung geputzt. Unser römischer Sanitäter (im echten Leben wirklich Arzt!) baut sein umfangreiches Operationsbesteck auf; ich richte zusammen mit einem Kameraden verschiedene technische Geräte für die Vorführung her. Die Küche beginnt derweil mit der Vorbereitung diverser römischer Gerichte.
Und dann kommt das Publikum. Spätestens jetzt verschwinden Brillen und Armbanduhren in den Reisetaschen und die Rüstungen werden angelegt. Schnell bilden sich die ersten Zuschauergrüppchen, die interessiert bei den letzten Schnellreparaturen am Schienenpanzer zugucken, den Centurio beim Anziehen seiner prächtigen Ausrüstung bestaunen oder sich bereits den Umgang mit Scutum und Pilum erklären lassen. Nach jedem Detail wird gefragt und wir geben natürlich gerne Auskunft, erklären, zeigen, lassen anfassen und hochheben. Vor allem die Kinder haben ihren Spass dabei, mal einen "echten" Helm aufzusetzen und mit einem Scutum in der Hand bis zum nächsten Baum zu laufen. Wobei das mit einem 10 kg schweren Schild natürlich nicht ganz so einfach ist...
Natürlich treten wir im Laufe des Tages auch zum "Exerzieren" an. Unter dem strengen Kommando unseres Centurio zeigen wir dann z.B. verschiedene Angriffsformationen und eine Salutation vor dem Feldzeichen. Auf die Darstellung von Schaugefechten verzichten wir - echten Kampf kann man nicht spielen, und abgesprochene Gefechte vermitteln kein realistisches Bild. Ausserdem kämpften römische Legionäre ohnehin nicht im Einzelkampf sondern immer in der geschlossenen Formation. Ein wenig Legionärs-Training mit Holzschwertern und Übungsspeeren gehört aber natürlich schon zu unserem Programm.
Wieder zurück im Lager gehen die Erklärungen weiter. Während z.B. zwei Legionäre anfangen, Korn zu malen um dann Puls (den Getreidebrei der Legionäre) zuzubereiten, von dem das Publikum dann natürlich auch mal kosten darf, erkläre ich einigen Zuschauern meinen Abacus (den römischen Taschenrechner). Vor einem anderen Zelt beginnt ein anderer Legionär, alle Einzelteile seines Marschgepäcks zu erklären - ein Vortrag, der ganz schön lang werden kann, schließlich steckt der ganze Besitz eines Soldaten in diesem ca. 20 kg schweren Bündel. Vorgeführt wird so ein Gepäckmarsch gelegentlich auch, aber das hängt auch vom Wetter ab - wir sind nun mal einfach nicht durchtrainiert genug, um mit 45 kg Gesamtgepäck bei Regen oder glühender Sonne durch die Stadt zu ziehen. Da ist eine einfach Patrouille schon etwas angenehmer.
Wenn dann am frühen Abend die letzten Zuschauer gegangen sind legen wir wieder die Rüstungen ab. Plötzlich fühlt man sich wieder so leicht, wenn 10 kg Eisen von den Schultern verschwunden sind! Der Samstag Abend ist meist der gemütlichste an der ganzen Veranstaltung, noch stecken nicht zwei anstrengende Tage in den Knochen und es herrscht auch keine Hektik. Aber trotzdem versucht jeder, doch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, denn auch wenn am Sonntag nicht ganz so streng geweckt wird, steht uns trotzdem noch ein schwerer Tag bevor. Natürlich stellt sich eine gewisse Routine ein, aber neue Besucher stellen immer wieder neue Fragen! Die eigentliche Anstrengung kommt aber erst am Sonntags Abend: dann heißt es "Lager abbrechen". Ausziehen, verpacken, abbauen, verladen - ein paar Stunden schwitzen sind also nochmal angesagt, bevor man den Lagerplatz wieder vollkommen leer verlässt. Zuhause steht dann in den nächsten Tage noch das Säubern der Ausrüstung auf dem Plan, denn die Fingerabdrücke des Wochenendes werden bei falscher Pflege schnell zu lästigen Rostflecken. Und feuchtes Leder ist ein schöner Wohnort für Schimmelpilze.
Natürlich nutzt man die Zeit bis zur nächsten Veranstaltung, um wieder Neues zu bauen, selber Museen zu besuchen und Bücher zu lesen, im Internet zu stöbern und Gespräche zu führen, um dann den unvermeidlichen Schritt an die Werkbank zu machen um durch neue Erkenntnisse und neue Gegenstände für sich selbst und Andere die Antike wieder ein kleines Stück besser "fassbarer" zu machen.